Peripartale psychische Erkrankungen betreffen jährlich etwa 100.000 Mütter in Deutschland. Der Verein „Schatten & Licht e. V.“ bietet umfassende Unterstützung durch Informationsmaterial, Beratung und Selbsthilfegruppen. Die Symptome reichen von Schuldgefühlen und innerer Leere bis zu Panikattacken und Zwangsgedanken. Die Behandlung umfasst je nach Schweregrad Unterstützungsangebote, medikamentöse Therapie und Psychotherapie. Gynäkologinnen und Gynäkologen können betroffene Mütter mit und anhand der vom Verein zur Verfügung gestellten Materialien unterstützen und sich auf Wunsch aktiv im Verein einbringen.
Einleitung
Etwa 10–15 % der Mütter, also in Deutschland jährlich etwa 100.000, erleiden eine peripartale psychische Erkrankung. Zu diesen peripartalen psychischen Erkrankungsbildern gehören peripartale Depression, Angst-, Zwangsstörung und Psychose.
Formen und Symptome peripartaler psychischer Erkrankungen
Vielen Müttern werden die Anzeichen des Babyblues vermittelt. Dieses postpartale Stimmungstief tritt in den ersten 10–14 Tagen nach der Entbindung auf und sollte über diesen Zeitraum nicht hinausgehen. 50–80 % aller Mütter leiden darunter. Typische Anzeichen sind:
- Empfindsamkeit und Stimmungsschwankungen
- Traurigkeit und häufiges Weinen
- Müdigkeit und Erschöpfung
- Schlaf- und Ruhelosigkeit
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Ängstlichkeit und Reizbarkeit
Das postpartale Stimmungstief kann durch pflanzliche und homöopathische Medikamente und durch Fürsorge gelindert werden, bedarf aber nicht unbedingt einer Behandlung.
Dass es aber auch in der Schwangerschaft und sehr häufig nach der Geburt zu Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen kommen kann, die dringend einer Behandlung bedürfen, ist den meisten Müttern nicht bewusst. Diese Krankheitsbilder können jederzeit in der Schwangerschaft oder im Laufe des ersten Jahres nach der Entbindung auftreten und mehrere Wochen bis einige Monate andauern – sich ohne Behandlung sogar chronifizieren. Da das Stillen depressionshemmend wirkt, können die Symptome hinausgezögert werden und erst mit dem Abstillen auftreten. Meistens hat der Krankheitsverlauf eine schleichende Entwicklung und die ersten Anzeichen werden häufig nicht erkannt, da sie denen des Babyblues ähneln.
Zu den möglichen Symptomen des Babyblues kommen bei einer postpartalen Erkrankung Symptome hinzu. So etwa:
- Schuldgefühle
- inneres Leeregefühl, allgemeines Desinteresse, sexuelle Unlust
- zwiespältige Gefühle dem Kind gegenüber
- Konzentrations-, Appetit-, Schlafstörungen
- Schwindel, Herzbeschwerden, andere psychosomatische Beschwerden
- Ängste, extreme Reizbarkeit, Panikattacken, Zwangsgedanken
- Suizid-, Infantizidgedanken
Die schwerwiegendste Reaktionsform ist die postpartale Psychose, auch Wochenbettpsychose. Sie tritt vorwiegend in den ersten zwei Wochen nach der Entbindung auf. Etwa 1–3 ‰ aller Mütter erleiden eine Psychose. Typische Symptome sind:
- starke Antriebssteigerung, motorische Unruhe
- Antriebs-, Bewegungs- und Teilnahmslosigkeit
- Verworrenheit, Wahnvorstellungen, Halluzinationen
Die Psychose bedarf unbedingt einer stationären Behandlung, die vorübergehende Trennung von Mutter und Kind ist leider meist nicht zu vermeiden.
Ursachen und Risikofaktoren
Die Ursachen für alle peripartalen psychischen Reaktionsformen sind vielfältig. Meistens führt nicht nur ein Auslöser, sondern das Zusammentreffen verschiedener Risikofaktoren zu einer peripartalen Überlastungsreaktion. Begleitende Auslöser auf körperlicher Ebene können mangelnder Schlaf, Hormonumstellung, Muttertät und körperliche Erkrankungen wie z. B. Schildrüsendysfunktion und Stoffwechselstörungen oder psychische Vorerkrankung sein.
Maßgeblich ist auch der Verlauf von Schwangerschaft, Entbindung und Wochenbett. Wird eine dieser Phasen von der Mutter als belastend erlebt, kann dies ein Auslösefaktor sein. So sind Schwierigkeiten vor der Schwangerschaft, wie vorhergehende Fehlgeburt, langes Warten auf ein Wunschkind oder künstliche Befruchtung, genauso Risikofaktoren wie Schwierigkeiten in der Schwangerschaft, zum Beispiel in Form einer ungeplanten oder aufgrund vorzeitiger Wehen angstbeladenen Schwangerschaft. Häufige Risikofaktoren bei der Entbindung sind eine frühzeitige oder langwierige Entbindung, ungewollter Kaiserschnitt, unsensible Behandlung oder Gewalt unter der Geburt oder eine anderweitig traumatische Entbindung. Auch die Verfassung des Kindes spielt eine Rolle. Eine Früh- oder gar Totgeburt, ein Schreibaby, Stillprobleme oder ungewolltes Abstillen belasten die Mutter enorm und führen zu Versagensgefühlen, die in eine Depression münden können.
Zudem sollte grundsätzlich bedacht werden, dass die Geburt eines Kindes eine gewaltige Umstellung für die Eltern bedeute. Diese Veränderungen müssen nicht nur physisch, sondern auch psychisch bewältigt werden: Abschied von der Schwangerschaft und der damit verbundenen Fürsorge, Abschied von der eigenen Kindheit, Verlust der Freiheit und Selbstbestimmung, Abschied vom eigenbestimmten, strukturierten Berufsleben. Mitunter kommen noch andere belastende Umstände wie Tod oder Trennung von einem geliebten Menschen, Ortswechsel, finanzielle oder familiäre Probleme oder Probleme in der Partnerschaft dazu. Auch die Beziehungen zu Partner oder Partnerin, zur eigenen Mutter, zu befreundeten Personen und zu Kolleginnen und Kollegen ändern sich. Und die auffangende Großfamilie gibt es nur noch sehr selten. Außerdem können traumatische Erlebnisse in der Kindheit wie früher Verlust der Eltern, Gewalterfahrung, Missbrauch oder das eigene schwierige Geburtserlebnis durch die Schwangerschaft und Geburt reaktiviert werden.
Ein zusätzlicher Auslösefaktor ist das in Werbung, Literatur und Medien völlig idealisierte Mutterbild . Dem Traumbild der allzeit lächelnden, glücklichen, gepflegten Mutter können die Mütter nicht entsprechen. Sie leiden unter Versagensgefühlen und wagen nicht, über ihre wahren Gefühle zu reden und sich Hilfe zu holen. Stattdessen versuchen sie so lange wie möglich dem Bild der perfekten Mutter zu entsprechen, weshalb man im englischen Sprachgebrauch auch von „Smiling Depression“ spricht.
Das Wochenbett ist also eine hochsensible Zeit der Umstellung, in der die Mutter einen geschützten Rahmen benötigt. Sie sollte in dieser Zeit von allen weiteren Aufgaben entlastet und selbst bemuttert werden und die Möglichkeit zu ausreichend Schlaf erhalten.
Behandlungsansätze und Unterstützungsangebote
Die Möglichkeiten der Behandlung richten sich nach der Krankheitsform und deren Schwere. Bei einer leichten Erkrankungsform können schon Unterstützungsangebote wie Mütterpflegerinnen, Doulas, Familienhebammen, Frühe Hilfen etc. sowie begleitende Gespräche durch Schwangerschafts- oder psychosoziale Beratungsstellen helfen; meist reicht das aber nicht aus. Dann sollte eine medikamentöse Begleittherapie durch den Facharzt oder die Fachärztin erfolgen. Es gibt schwangerschafts- und stillverträgliche Medikamente, zu denen sich behandelnde Fachpersonen über Internetportale (Embryotox und Reprotox) oder entsprechender Fachliteratur (z. B. Rohde A, Schaefer C et al. Mutter werden mit psychischer Erkrankung: Von Kinderwunsch bis Elternschaft. Kohlhammer, 2023) informieren können.
Da viele betroffene Mütter unter permanenter Anspannung leben, haben sich Körpertherapien als große Hilfen erwiesen. Darüber hinaus ist aber vor allem eine Psychotherapie wichtig, um die Ursachen der peripartalen psychischen Erkrankung herauszufinden und aufzuarbeiten. Dabei sind je nach Ursache der Erkrankungen verschiedenste Therapieformen hilfreich; häufig ist aber aufgrund einer als traumatisch erlebten Geburt eine Traumatherapie sehr sinnvoll. Bei schwererer Erkrankung können ambulante psychiatrische Pflege oder stationsäquivalente Behandlung (STÄB) helfen.
Die Behandlung einer sehr schweren postpartalen Depression mit Suizidgedanken oder einer postpartalen Psychose sollte stationär in einer psychiatrischen Fachklinik mit einer reinen Mutter-Kind-Station und gezielten Therapieangeboten, einschließlich einer Mutter-Kind-Interaktionstherapie, erfolgen. Solche Einrichtungen sind aber leider in Deutschland längst nicht ausreichend vorhanden, so dass es häufig zu einer Trennung von Mutter und Baby und damit einer Störung der beiderseitigen Bindung kommt.
Selbsthilfe und Aufklärung
In vielen Fällen kann Selbsthilfe und damit die bundesweite Selbsthilfe-Organisation „Schatten & Licht e. V. – Initiative peripartale psychische Erkrankungen“ helfen. Dieser gemeinnützige Verein wurde 1996 von betroffenen Frauen gegründet, wird mittlerweile etwa hälftig von Betroffenen und Fachpersonen getragen, verfügt über einen wissenschaftlichen Beirat und ist dem weltweiten Netzwerk PSI-Postpartum Support International (USA) und diversen medizinischen Fachgesellschaften, so auch der DGPFG, angeschlossen.
Da das Problemfeld der peripartalen psychischen Erkrankungen in Deutschland stark vernachlässigt wird, finden betroffene Mütter und ihre Familien keine oder nur unzureichende Hilfe. Dies zu ändern, ist Ziel des Vereins.
Schatten & Licht e. V. –
Initiative peripartale psychische Erkrankungen
- Adresse:
Obere Weinbergstr. 3
D- 86465 Welden - Telefon: 08293 965864
- Mail: info@schatten-und-licht.de
- Website: www.schatten-und-licht.de
Hilfsangebote für betroffene Mütter und Angehörige
Als initiale Unterstützung können kostenfrei Plakate und Flyer vom Verein bezogen werden, auf denen die betroffenen Frauen erste Erläuterungen zum Krankheitsbild, den Selbsteinschätzungstest EPDS (Edinburgh Postnatal Depression Scale), Angebote zu Informationsmaterial und Kontaktdaten zu Geschäftsstelle, telefonischer Beratung und Website finden können.
Eine ebenfalls kostenfrei beim Verein zu bestellende 48-seitige Broschüre erläutert Krankheitsbilder und Ursachen, gibt einen Überblick über die verschiedenen Hilfsmöglichkeiten, beinhaltet Tipps für Angehörige und Prävention und stellt mehrere Erfahrungsberichte betroffener Mütter zur Verfügung, in deren Schilderungen sich die Leserinnen wiederfinden können. Ganz niedrigschwellig bietet der Verein eine Kontaktliste mit ehemals betroffenen Frauen an, die bereit sind, sich mit erkrankten Müttern auszutauschen, um diesen mit ihren eigenen Erfahrungen zu helfen. Damit ist ein flächendeckendes Hilfsnetz von ehemals betroffenen Frauen geschaffen, so dass die akut erkrankten Mütter sich nicht mehr isoliert fühlen müssen.
Eine Angehörigenliste, in die sich Ehepartner, Geschwister, Mütter und Väter von Betroffenen haben aufnehmen lassen, gibt Angehörigen geeignete Gesprächspartner an die Hand. Außerdem gibt es eine Angehörigen-Beratung, kostenfreie Online-Angehörigen-Infoabende und eine Online-Vätergruppe.
Digitale Inhalte des Schatten & Licht e. V.
Selbsthilfegruppen und Beratung
Über 100 ehrenamtliche Beraterinnen und Berater, die vom Verein geschult und laufend fortgebildet werden, bieten kostenfreie Telefonberatung und teilweise auch Besuchsdienste an. Außerdem organisieren sie regionale Selbsthilfegruppen in Präsenz und online. Darüber hinaus bietet der Verein Online-Selbsthilfegruppen zu diversen Schwerpunkten an. Themen sind unter anderem Schwangerschaftsängste und -depressionen, postpartale Depression, postpartale Angst- und Zwangsstörung, postpartale Psychose, traumatische Geburt, Sternenkind-Eltern, Borderline-Mütter sowie selbst von postpartalen Depressionen betroffene Väter. Auch eine englischsprachige Online-Selbsthilfegruppe steht zur Verfügung.
In den Gruppen werden persönliche und therapeutische Erfahrungen sowie Informationen und Tipps ausgetauscht. Vor allem aber ist das Gespräch mit anderen betroffenen Müttern und Vätern, die aufgrund ihrer eigenen Erfahrung entsprechend glaubwürdig und hilfreich sind, sehr entlastend. Die Betroffenen fühlen sich nicht mehr so allein mit ihrer Erkrankung. Auch können in diesem Rahmen Zwangs- und Suizidgedanken leichter erstmals geäußert und Ängste vor Jugendamt, Fachärzten und Medikamenten abgebaut werden.
Informationsmaterial und Öffentlichkeitsarbeit
Um gute professionelle Anlaufstellen zu vermitteln, führt der Verein eine Fachleuteliste, in der zurzeit 2.150 Fachpersonen verschiedenster Berufsgruppen aufgeführt sind. Darunter finden sich neben Heilpraktik, Sozialpädagogik, Gynäkologie und Psychiatrie vor allem Fachpersonen aus der ärztlichen und psychologieschen Psychotherapie,die sich auf die Behandlung von Müttern mit psychischen Krisen rund um die Geburt spezialisiert haben. Darüber hinaus stellt der Verein ausführliche Informationen zur räumlichen, personellen und therapeutischen Ausstattung der über 60 Mutter-Kind-Einheiten an den psychiatrischen Kliniken in Deutschland zusammen, an denen die postpartal erkrankten Mütter mit ihren Kindern aufgenommen werden können. Eine vom Verein geführte Literaturliste umfasst Bücher zu peripartalen Erkrankungen, Psychiatrie und Psychologie, Medikamenten in Schwangerschaft und Stillzeit, Therapieformen für Kinder psychisch kranker Eltern und sonstige hilfreiche Literatur.
Tipps für Angehörige zum Umgang mit den erkrankten Müttern helfen, die familiäre Situation zu erleichtern. Informationsmaterial zur Prävention lindert die Angst vor einer erneuten Schwangerschaft.
Die sehr gut besuchte zweisprachige (deutsch und englisch) Website vermittelt zahlreiche Informationen zu Krankheitsbildern, Ursachen, Hilfsangeboten, Medikamenten, Therapieformen, Mutter-Kind-Einrichtungen und Prophylaxe sowie Listen zu Beratungsmöglichkeiten, Selbsthilfegruppen und Fachpersonen. Fragebögen zur Selbsteinschätzung, Literatur-, Film- und Podcast-Listen, hilfreiche Links, Erfahrungsberichte und ein betreutes Forum runden das Angebot ab. Für viele Betroffene ist dieser anonyme Erfahrungsaustausch ein wichtiger Einstieg, sich die Erkrankung einzugestehen und sich Hilfe zu holen.
Darüber hinaus werden Fachpersonen verschiedenster Berufsgruppen bei Ausbildung, Forschung und Studien unterstützt. Der Verein bietet zudem Vorträge und Fortbildungen für die Öffentlichkeit und für Fachpersonen an. Sehr erfolgreich und regelmäßig werden zwölf verschiedene, jeweils fünfstündige Online-Seminare rund um das Thema der peripartalen psychischen Erkrankungen angeboten, u. a. peripartale Depression, Angst-, Zwangsstörung, traumatische Geburt, Sternenkind, Krisengespräch, positive Psychologie, Bindungsentwicklung, Stillen und peripartale Erkrankung, Väter mit peripartaler Depression.
Die Referentinnen des Vereins verfügen über eine langjährige Vortrags- und Praxiserfahrung rund ums Thema der peripartalen psychischen Erkrankungen.
Durch Informationsstände, Medien- und zunehmend auch Lobbyarbeit bringt der Verein das Problemfeld der peripartalen Erkrankungen der allgemeinen Öffentlichkeit, Fachpersonen und der Politik näher, um mehr Verständnis für die Problematik und damit langfristig mehr gesellschaftliche, finanzielle und gesundheitspolitische Unterstützung für die Betroffenen zu gewinnen.
Fazit für die Praxis
Mit diesem Artikel sollen Gynäkologinnen und Gynäkologen auf die Hilfsangebote des Vereins hingewiesen und ihnen die kostenfreie Zusendung von Infomaterial angeboten werden. Sehr gerne und dankend nimmt der Verein auch weitere Fachpersonen aus dem Bereich Gynäkologie in die Fachleuteliste auf. Die zugehörige Einwilligungserklärung findet sich auf der Website neben der Fachleuteliste. Damit kann die Arbeit der Organisation „Schatten & Licht e. V.“ unterstützt und den betroffenen Müttern geholfen werden.
Sabine Surholt
Korrespondenzadresse:
Sabine Surholt (M. A.)
1. Vorsitzende Schatten & Licht e. V. –
Initiative peripartale psychische Erkrankungen
08293 965864
info@schatten-und-licht.de